Ich fange mal mit dem Protokoll des zweiten Tages an, kann sein, daß ich zwischendrin abbrechen muß, dann ergänze ich halt später noch ein wenig.
Baumann differenziert im Gegensatz zu Blaschke-Berthold Formen der Aggression. Er sagt, daß man bei einem Hund, der Aggression zeigt, die auf Angst beruht, anders vorgehen muß als bei einem, der sie nicht aus Angst zeigt.
Worin er sich mit ihr einig ist, ist die Grunddefinition von Aggression in dem Sinne, daß auch er sie nicht für einen Trieb hält, ihr keinen Selbstzweck unterstellt, sondern erklärt, daß Aggression immer Mittel zum Zweck, immer Weg zu einem Ziel ist, d.h. nicht Bedürfnis selbst, sondern zur Bedürfnisbefriedigung (Reiz loswerden, Beute bekommen, Nahrung kriegen etc.) dient.
Für ihn gibt es mehrere Formen der Aggression, prozentual (nach seiner praktischen Erfahrung, wie er betonte, nicht wissenschaftlich belegt) wie folgt gegliedert: 1) Aggression aus Angst/Unsicherheit -> 70 Prozent -> durch Training seiner Meinung nach fast zu 100 % wandelbar 2) Aggression aus Frustration -> 25 Prozent -> hier sieht er den genetischen Anteil deutlich höher, damit die Quote der Wandelbarkeit deutlich niedriger, formbar sei aber diese Aggression durchaus 3) Aggression aus Dominanzbestreben (für ihn gehört Ressourcenverteidigung NICHT in diesen Bereich) -> 5 % -> fast ausschließlich genetisch disponiert, nicht wandel-, aber durch intensives Training formbar.
Zu Punkt 3) erklärte er, daß Dominanzaggression in der Regel innerartlich aufträte, zwischenartlich (Hund/Mensch) selten sei. Er trennt hier allerdings von "hausgemachter" Dominanz, d.h. von einem Hund, der aufgrund mangelnder Strukturen/Regeln dominant dem Menschen gegenüber aufträte.
Er sagt, Dominanzaggression sei KEINE Beziehungsfrage (Schle, das nochmal zu Deiner Frage), sondern entspräche in ihrer Entstehung dem hierarchischen Konzept, das der Hund im Sinne der Rangordnung brauche und verinnerlicht habe. Sie fände zwar ihren Ausdruck erst, wenn der Hund sich einem Gegenüber verhalte, die Ursache jedoch habe mit einem Sozialpartner nichts zu tun. Der Hund habe -ohne daß z.B. Ressourcen im Spiel seien- das eigendynamische Bestreben, sich mit dem Gegenüber im Sinne der Hierarchie auseinanderzusetzen, die hinge nicht vom Verhalten des Gegenüber ab, sondern passiere immer, in jeder Begegnung, wobei Dominanz nicht immer über aggressive Signale geklärt werden müssen, trotzdem bleibe sie in ihrem Ursprung Aggression. Dominanzaggression diene dem Durchsetzen natürlicher hierarchischer Ansprüche sagte er, eine genetische Disposition sei erforderlich, wenn sie dem Menschen gegenüber aufträte, müsse sie, wenn sie offensiv sei, geregelt werden, ansonsten seien dominanzaggressive Hunde oft sehr souveräne Tiere.
Die Intensität der gezeigten Aggression (außer bei Angst) hänge einerseits von der Veranlagung des Hundes ab, andererseits von seiner Konditionierung (wieviel Erfolg hatte er bereits mit Aggression). Bei Aggression aus Angst gehe es IMMER um reine Konditionierungsfragen, der Hund sei disponiert, Meide- oder Fluchtverhalten zu zeigen, werde daran im Alltag gehindert und gehe dann in die Aggression, weil er durch die Angst allein keine Konfliktlösung erlebe/erfahre.
Diese negative Entwicklung (Beispiel: Mensch wirkt bedrohlich -> Hund zeigt Angst -> Mensch geht weiter auf Hund zu -> Hund zeigt Aggression -> Mensch geht weg -> Hund erlebt Konfliktlösung durch Aggression) werde extrem begünstigt durch unsichere Sozialpartner (z.B. indem Leinen gestrafft, Hunde mitgezerrt oder in ihrer Angst einfach ignoriert werden). Was im Umkehrschluß natürlich heißt: Ein sicherer Sozialpartner kann eine positive Entwicklung durch ruhiges, sicherer Verhalten (eigenes Meideverhalten, Mensch von Hund weghalten etc.) stark begünstigen.
Baumann trennt zwischen offensiver und defensiver Aggression (nach außen gerichtet oder Beschädigung vs. Verteidigung). Hierbei trennt er auch zwischen muß geregelt werden (offensive Aggression) und muß nicht geregelt werden (defensive Aggression).
Die Frage, die er als "alte Streitfrage" bezeichnete, Aggression ignorieren oder blockieren, beantworte er entsprechend differenziert. Oft sei zu hören, ignorieren sei besser, er jedoch halte das im Bereich offensiver Aggression schlicht für nicht wahr, da es oft zu einem selbstbelohnenden Effekt durch das Erfolgserlebnis komme und der Hund die Aggression entsprechend dauerhaft zeige, wenn sie nicht geregelt würde.
Seine Grundsätze: 1) Defensives Aggressionsverhalten (z.B. Knurren, wegdrehen des Kopfes beim Knurren, Lefzen hochziehen, während der Hund nicht nach vorne geht) nicht regeln, 2) offensives Aggressionsverhalten blockieren.
Hier erklärte er, daß es bei einer Blockade NICHT um Strafe gehe. Skinner sei hier begrifflich mißverstanden worden, der von ihm benutzte Begriff "Strafe" sei nicht im menschlichen Sinne von Schuld/Sühne zu verstehen. Er bevorzuge den Ausdruck "Korrektur unerwünschten Verhaltens".
Eine Blockade könne bei Angst/Frustration/Unsicherheit eine stimmliche, körperliche oder technische Einwirkung sein. Hieraus solle als erstes und wichtigstes Ergebnis eine Wiederherstellung des ursprünglichen Angstverhaltens entstehen, auf das besser therapeutisch eingewirkt werden könne als auf ein aus Angst aggressives Verhalten.
Wichtig ist auch ihm, im Falle einer Blockade, die sofort anschließende Bestätigung, wenn der Hund auch nur Ansätze erwünschten Verhaltens zeigt, wobei er Ballspiele als Belohnung für gefährlich/unfruchtbar hält, weil sie das Erregungs-/Streßpotential des Hundes in sich steigern.
Eine Blockade im Falle einer Frustrations-Aggression müsse berücksichtigen, daß der Hund lerne, daß das Aggressionsverhalten nicht mehr zum Ziel der Bedürfnisbefriedigung führe (z.B. das erwünschte Fressen o.ä.), das aggressionsfreie Verhalten jedoch in der Folge die Befriedigung bringe. (Beispiel: Hund ist aggressiv, wenn er Spielzeug abgeben soll, Hund wird Ressource unter Zwang abgenommen, er bekommt sie wieder, sobald er keine Aggression mehr zeigt, wobei Baumann nicht über Tauschspiele spricht, sondern dem Hund DEN erwünschten Gegenstand zurückgibt).
Eine Blockade einer Dominanz-Aggression müsse dem Hund gegenüber einen deutlichen Führungsanspruch bzw. dessen Erhöhung durch den Menschen kommunizieren. Er sagte an diesem Punkt klar, daß da eine "Leberwurst-Methode" keinerlei Erfolg haben könne, da diese auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basiere, es jedoch hier nicht darum gehe, den Hund zu einer Freiwilligkeit zu bewegen. Der Hund sei einzig in einem Konflikt (führt er oder ich), und dieser müsse für den Hund verständlich gelöst werden. An diesem Punkt setzt Baumann auch die Methode der Unterwerfung ein, er erklärt, er habe damit Erfolge und sehe nicht ein, diese zu negieren, weil "Leberwurst-Methodler" sie nicht mehr für opportun hielten. Das Ergebnis der Blockade dominanzaggressiven Verhaltens müsse sein, daß der Führungsanspruch des Menschen dem Hund in der Folge offensives Aggressionsverhalten verbiete und er erkenne, daß positives Verhalten belohnt werde.
So, der Rest muß später folgen, aber ist ja auch schon erstmal schon wieder lang genug. :-)
Viele Grüße Barbara mit Ritter Parcifal, Prince Maddox und Sir Lancelot sowie in ewiger Verbundenheit mit Malibub Athos, Seelenbub Ben, Spitzbub Ilias, Lausbub Seppl und 'dame de coeur' Lupa (G'lupa de la Noire Alliance)
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"Just a generation ago if you went near a dog when he was eating and the dog growled, somebody would say, 'Don't go near the dog when he's eating!, what are you crazy?' Now the dog gets euthanized. Back then, dogs were allowed to say, NO. Dogs are not allowed to say no anymore...They can't get freaked out, they can't be afraid, they can never signal 'I'd rather not.' We don't have any kind of nuance with regard to dogs expressing that they are uncomfortable, afraid, angry, or in pain, worried, or upset. If the dog is anything other than completely sunny and goofy every second, he goes from a nice dog to an 'AGGRESSIVE' dog." (Jean Donaldson)
Schle Miel
(
gelöscht
)
Beiträge:
31.05.2008 18:08
#2 RE: Angst und Aggression - Seminarprotokoll, Teil 2
Ich denke da ist gerade für micht einiges an Information geboten. Muss ich mir mindestens 10 Mal zu Gemüte führen, da kann ich auch mal den neuen Trainer drauf ansprechen.
LG Margit mit Archy __________________________________________________________________________________
Es gibt keine andere Wahl, als vorwärts zu gehen. (Fridtjof Nansen)
Zitat von Schle Miel Das muss man echt in Ruhe und vielleicht sogar öfter mal lesen. Sind schon ne Menge Infos drin
Das erklärt, warum ich mich nach diesen beiden Tagen so "überfüllt" fühlte. ;-)
Das Schreiben ist tatsächlich eine Form von Ventil. Wenn ich das alles hier zusammenfasse, kriege ich es auch in mir besser geordnet. Ich hatte am Donnerstagabend eine richtige "Matschbirne", weil es einfach alles soviel und (für mich jedenfalls) soviel Spannendes gewesen war.
Dann verschone ich Euch wohl besser erstmal mit Teil 3 und reiche den morgen oder übermorgen nach. :-)))
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Vielen Dank auch für diesen Bericht!!! Aggression scheint wirklich auch mehr Baumanns "Thema" zu sein, scheint mir zumindest. Sehr hilfreich und einleuchtend -für mich- die Unterteilungen, v.a. nachdem im Training mit COH die Frustration als Ursache seiner Aggressionen nochmal deutlicher wurde und nach Telefonat mit der Züchterin interessanterweise auch die genetische Disposition (niedrige Frustrationstoleranz, bzw. niedrige Erregungsschwelle *seufz*)zur Sprache kam...
Habe ich den Teil 3 überlesen? das war selbst für mich interessant, obwohl ich noch nicht sehr viel verstanden habe. Das Wort Blockade gibt für mich keinen Sinn. Oder wird es hier in einem anderen Sinn verwendet. Kannst du mir helfen?
Melanie ------------------------------------------------------------------------------ Der Hund ist das einzige Wesen auf Erden, das dich mehr liebt als sich selbst.
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Danke, jetzt weiss ich was eine Blockade ist. Wie sieht aber ein Beispiel einer in der Praxis aus?
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