Zitat von pacolinoJetzt hab ich nur noch eine Frage: Paco hat geknurrt und ist dabei aufgestanden, um zu dem Jungen hinzugehen. Diesen Impuls will und muß ich aber unterbrechen, da ich mir nicht sicher bin, wie er weiter reagiert. Und da sind wir auch bei meinem Problem: ich kann manchmal nicht einschätzen, wie er reagieren würde, wenn ich ihn lasse. Mein Mann hat ihn ja in dem Moment laut angesprochen, auf seinen Platz zurückgeschickt, sich kurz mit Marcel unterhalten, dieser hat sich aus dem Wohnzimmer entfernt, und mein Mann hat sich dann als "Puffer" neben Paco auf den Boden gesetzt und weiter die Zeitung gelesen. Paco war dann auch wieder entspannt.
Ich denke, Du hast schlicht keine Zeit, Dich zu fragen, was Paco tun könnte. Ich glaube, es ist ein menschlicher "Denkfehler", erst einzugreifen, wenn "etwas passieren könnte". Meiner Meinung nach ist unsere oberste Pflicht als Hundehalter, einzugreifen, bevor etwas passieren könnte, um dem Hund zu zeigen, daß es gar nicht zu agieren oder zu reagieren gibt.
Ehrlich, manchmal glaube ich, daß unsere aggressiven Hunde eigentlich Glück haben. Denn weil sie sich verhalten wie sie sich verhalten, müssen wir uns die Mühe machen, darüber nachzudenken, warum sie etwas tun und wie wir ihnen helfen können, es abzustellen. Hunde, die verhaltensunauffälliger sind, kommen aber in genau die gleichen Notsituationen, sie brauchen genauso Hilfe wie ihre aggressiveren Artgenossen. Nur wird es oft nicht gesehen, weil sie einfach still leiden.
Nur ein Beispiel von gestern. Ich war mit einem Freund in einer ziemlich voll besetzten Gaststätte, es war extrem laut, alle quatschten durcheinander, und die "Musik" übertönte das alles noch. Am Tisch neben uns lag ein 15 Wochen alter Berner Sennenhund. Ich beobachtete ihn eine ganze Weile. Jeder zweite Mensch, der vorbeiging, mußte ihn tätscheln und wurde von Frauchen auch nicht daran gehindert. Im Gegenteil, ihr Sitzplan lag direkt auf dem Weg zu den Toiletten, was hieß, es kamen viel mehr Leute vorbei als es gewesen wäre, hätte der Berner an einem anderen Tisch gelegen.
Ich zählte in einer Stunde 30 Leute, die sich mit dem Hund beschäftigten. 25 davon beugten sich direkt über ihn, das Gesicht fast an seinem. Sie faßten über seinen Kopf, knuddelten, kraulten. Niemand sah, daß der Hund massivsten Streß hatte, man sah, wie sein Kopf soweit es ging nach hinten ging, immer wieder rutschte er zurück, wurde aber von seinem Frauchen stets zurückgerückt. Und das meine ich wörtlich, sie zog an seinen Läufen und positionierte ihn damit, wie sie ihn haben wollte. Es wäre ein leichtes gewesen, den Hund einfach unter dem Tisch liegen zu lassen. Er wäre dort geschützt gewesen, vor Blicken und vor dem permanten Streichelbedürfnis fremder Menschen. Geholfen wurde dem armen Kerl nullkommanull, im Laufe der Zeit hechelte er daher immer stärker, seine Maulspalte wurde immer länger, am Ende konnte er nicht einmal auf Ruf aufstehen, er lag wie paralysiert in der Gegend herum und mußte schließlich getragen werden. Überflüssig zu sagen, daß das natürlich alle furchtbar süß fanden, die es sahen. Das Highlight zwischendrin bestand dann in einem Typen, dessen Hund den Berner schon ein paarmal angebellt hatte, von einem anderen Tisch aus. Dessen Halter ging nun und steuerte dabei straight auf den Berner, der "voll in der Schußlinie" lag, zu. Keinen Meter vor ihm blieb der Mann stehen, sein Hund hing knurrend in der Leine. Der Berner war komplett steif, Frauchen hielt nur die Luft an. Und der Typ stand und stand und stand, klar, daß sein Hund dann ziemlich schnell begann, zu kläffen. In dem Moment zerrt sein Halter an der Leine, schimpft mit dem Vierbeiner und ... steht und steht und steht, leider jetzt nicht mehr stumm, sondern auf seinen Hund einredend, dem er erklärte, daß er, der Vierbeiner, nun aber ein böser Hund sei. Irgendwann stand ich auf, stellte mich vor den Berner, als ob ich da etwas gaaaaaaaaaaaanz Wichtiges zu tun hätte und bewunderte den pöbelnden Hund, während ich ihn weglockte. Unglaublich, aber wahr, es hat niemand gemerkt, daß ich da splittete, ich quatschte einfach blödes Zeug darüber, wie super diese Hunde doch seien und führte den Typen weg, der ja an seinem Tier dranbleiben mußte.
Daß so etwas dem Berner nicht zum letzten Mal passiert ist, läßt sich leicht prognostizieren. Und wann würden die Halter aufwachen? Wie der Typ, der seinen armen Hund anraunzte, erst, wenn der Vierbeiner unerwünschtes Verhalten zeigt. Und erst wenn damit der Leidensdruck für den Menschen (der Leidensdruck der Hunde ist offenbar bei sowas selten ausschlaggebend) groß genug ist, wird der eine oder andere Halter mal professionelle Hilfe suchen oder wenigstens den Versuch unternehmen, Lösungen zu finden.
Dementsprechend würde ich Dir raten: Versuche mal einen Perspektivwechsel. Denk nicht darüber nach, was Paco tun könnte und wann er das aus menschlicher Sicht Richtige oder Falsche tun wird, sondern verhalte Dich so, daß er gar nicht erst in eine Notlage geraten kann, in der er eine Entscheidung darüber treffen müßte.
Im konkreten Fall würde das heißen: Spielende und rennende Kinder haben im Raum des Hundes nichts verloren. Fangen sie damit an, kriegen SIE das Signal, nämlich den Hinweis, bitte woanders zu toben. Ist das nicht mehr möglich, würde ich gar keine großartigen Signale geben oder irgendwas abwarten. Ich würde ohne den Anraunzer genau das tun, was Dein Mann gemacht hat, den Hund vor den Kids schützen, entweder durch einen "Body-Block" oder dadurch, daß Du den Hund sicher ablegst, in einen anderen Raum bringst, ihm eine Box kaufst und mit ihr trainierst, daß sie sein Rückzugsort ist oder etwas in der Art.
Zum Thema Beißkorb nur eine Anmerkung zusätzlich. Was glaubst Du wohl, was Nachbarn, Verwandte, Bekannte usw. sagen würde, wenn Paco, weil Du von ihnen nicht hören wolltest, daß ein Beißkorb Mist und das Zeichen für eine Niederlage ist, keinen trüge und irgendwann ein Kind "erwischte" oder einen anderen Menschen oder einen Artgenossen? Genau in diesem Moment würden sich alle Vorurteile bestätigen, und die Leute würden garantiert noch mehr und noch schlechter reden als jetzt schon. Von daher: Beißkorb trainieren, anlegen und den Lästermäulern zeigen: "Ich arbeite an und mit meinem Hund."
Und wenn Ihr dann soweit seid, daß der Beißkorb wieder runter kann, weil Ihr genug geübt habt, kannst Du all jenen, die zweifelten und krittelten eine lange Nase drehen und sagen: "Mein Hund ist besser ausgebildet als Eure."
Viele Grüße Barbara mit Ritter Parcifal, Prince Maddox und Sir Lancelot sowie in ewiger Verbundenheit mit Malibub Athos, Seelenbub Ben, Spitzbub Ilias, Lausbub Seppl und 'dame de coeur' Lupa (G'lupa de la Noire Alliance)
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"Just a generation ago if you went near a dog when he was eating and the dog growled, somebody would say, 'Don't go near the dog when he's eating!, what are you crazy?' Now the dog gets euthanized. Back then, dogs were allowed to say, NO. Dogs are not allowed to say no anymore...They can't get freaked out, they can't be afraid, they can never signal 'I'd rather not.' We don't have any kind of nuance with regard to dogs expressing that they are uncomfortable, afraid, angry, or in pain, worried, or upset. If the dog is anything other than completely sunny and goofy every second, he goes from a nice dog to an 'AGGRESSIVE' dog." (Jean Donaldson)
Recht habt ihr, soviel steht schon mal fest. Den Maulkorb kennt Paco ein wenig, vom Tierarzt. Die sind da total super und entspannt. Paco geht auch gerne hin. Nach der Behandlung kommt das Ding direkt runter, und er bekommt von der Tierärztin immer ganz dicke Leckerlis, auf die er auch so lange wartet, bis er sie hat. Ich les mir nachher mal die Threads zum Thema Maulkorbgewöhnung durch, wenn ich Zeit hab, und sprech das auch am Mittwoch mal an.
Denn eins weiß ich genau: ich hab zwar Vorurteile gegen den Mauli, aber Sicherheit in bestimmten Situationen würde er mir bestimmt geben.
LG Katja
PS: Jetzt muß ich erst mal den Termin mit dem Heizungsableser meistern, drückt mal die Daumen!!!
Ich wollte nur kurz was zum Knurren sagen, was bereits mehrfach angesprochen wurde. Ich finde Knurren sehr wichtig, da Lilith zum Beispiel das Knurren abgewöhnt wurde und sie so keine Eskalationsstufen aufzeigte, sondern andere Hunde ohne Vorwarnung sofort biss. Als sie plötzlich anfing ihr Unbehagen durch Knurren auszudrücken, war ich heilfroh, da erstens die Hunde das als Warnung verstanden und sich zurück zogen und ich gegebenenfalls die Zeit habe noch einzugreifen. Von daher würde ich dieses Verhalten auf keinen Fall maßregeln und Situationen vermeiden, wo Konflikte zwischen dem Hund und Kindern entstehen könnten oder eben auch den Maulkorb aufsetzen, wobei ich diesen jedoch auch nicht immer traue, da Lilith sich sämtliche Maulkörbe abstreifen konnte, bis wir endlich einen fanden, den man über und unter dem Kopf zusätzlich am Halsband befestigen konnte. Ihre Schnauze war einfach zu kurz und zu breit für handelsübliche Modelle.
LG Danielle, Mexxi, Stella, Apatsche, Lilith und Iason