Seit einiger Zeit habe ich das Vergnügen, Kangaline Juno und Bezugsmensch Dorit zu trainieren. Ich tendiere in aller Regel dazu, Hunde nicht in Rassekategorien zu stecken bzw. nicht stecken zu wollen, Schubladen halte ich in der Hundeausbildung eigentlich für eher hinderlich.
Trotzdem stelle ich fest, daß es bestimmte typische Merkmale nicht nur gibt, sondern ein gutes Training sich bei einigen Rassen daran auch unbedingt orientieren muß.
Am stärksten deutlich führt mir das derzeit Juno vor Augen. Was bei anderen Hunden funktioniert, bringt bei ihr nämlich oft nichts oder sogar das Gegenteil dessen mit sich, was bei anderen Hunden sogar Voraussetzung für eine gute und erfolgreiche Kommunikation ist.
Wir alle kennen das: Ein Hund rückt aus, einer Wildspur hinterher oder einem anderen Hund oder etwas ähnlich Spannendem, er kommt zurück, und unsere Aufgabe besteht darin, uns wie Bolle zu freuen und eine Party mit dem reumütig rückkehrenden (
) Vierbeiner zu feiern. Das Gleiche beim zur Gruppe bzw. Bezugsperson wieder aufschließenden Kangal zu tun, bringt genau ein Ergebnis: Daß der pflichtbewußte Herdenschutzhund seinen Aktionsradius von ca. 200 Metern rund um die "Herde" wieder aufnimmt und erneut auf der Suche nach Gefahren für die Truppe im Unterholz verschwindet.
Ein schönes Beispiel für den Ablauf eines Offline-Gangs mit Kangal hatten wir heute. Es ging damit los, daß Juno und die Jungs ohne Leine in den oberen, unbewaldeten Teil des Freilaufgebiets geschickt wurden. Die Jungs im Übermut tobten los und animierten den Kangal zum Rennspiel. Juno nahm es auf, kam dann aber nicht, wie die Jungs, zurück, sondern rannte in großem (und damit meine ich wirklich GROSSEN) Kreis um uns, die Hunde-Menschen-Gruppe, herum. Ein Ruf der Bezugsperson, ein Blickkontakt des Kangals und ... der Vierbeiner VERGRÖSSERTE den Abstand, schließlich nimmt Hund seinen Job ernst. Die Gruppe schlenderte weiter, Dorit bekam ein Rufverbot. Der Kangal nahm unsere Bewegung wahr und schloß in immer enger werdenden Kreisen wieder zu uns auf, offenkundig war das für Juno tatsächlich die normalste Sache der Welt.
Dann bekam Dorit den Auftrag, sich mit Juno zu verstecken, ein paar Büsche gibt es, hinter denen das geht. Die Jungs durften suchen und freuten sich wie Schneekönige, als sie das Mädchen gefunden hatten, Seppi allen voran. Es wurde gelobt, es war kurz nicht klar in welche Richtung es weitergehen sollte, und schon war Juno: auf Habacht. Sie ging erneut das Terrain sondieren, ihre Kreise wurden immer weiter, Dorit wurde nervös. Nach den Erfahrungen der letzten Trainingseinheiten war mir klar: Juno darf keine Anormalität spüren und erfahren, wir mußten unseren Weg in aller Gemütlichkeit fortsetzen. Was bei Seppi super funktioniert, das betonte Weggehen vom "Tatort", das "Tschüß, Seppi", bei Juno klappt es nicht. Was bei Ben eine echte Hilfe ist, ein lockender und Futter verheißender Ruf, bei Juno ist es fatal. Was bei vielen Hunden durchaus richtig sein kann, nämlich einen Ruf wenigstens einmal klar und etwas lauter zu wiederholen oder einen richtungsweisenden Pfiff zu setzen, um die Absicht des Halters verstärkt kundzutun, bei Juno führt es dazu, daß sie den Konflikt, "komme ich oder gehe ich", dahingehend entscheidet, zu gehen. Es scheint, als ob die ausgedrückte Unsicherheit ("kommt er jetzt, der Hund oder nicht"), die in der neuerlichen Betonung liegt, ihr nur eins sagt: Daß sie es ist, die sondieren, schützen und führen muß.
Und so entschwand der Kangal folgerichtig noch zwei weitere Male, explizit immer dann, wenn wir Menschen darüber diskutierten, wie es nun weitergehen sollte. Wollten wir noch eine Runde drehen oder nicht? Wollten wir noch ein Eis essen gehen oder nicht? Wollten wir es wagen, in Richtung Wald zu gehen oder nicht? Würde der eine oder andere Hund den Riesenschnauer anmotzen wollen oder nicht? Jede unserer Unwägbarkeiten, sie führte dazu, daß Juno entschwand.
Faszinierend ist es für mich dabei immer wieder, daß sie a) sehr weit weggeht, 200 Meter sind bei ihr wirklich nicht viel (Critter-Barbara, hier tue ich Dir wirklich Abbitte, ich weiß jetzt wirklich, was Du damals meintest, als Du sagtest, Deine Dos seien eben anders im Radius als andere Hunde zu begreifen), b) dabei Menschen und andere Hunde zwar wahrnimmt, ihnen aber nicht zu nahe kommt und ihnen, sie natürlich nie aus den Augen lassend, ausweicht, wo sie kann, ohne uns, ihre Gruppe, unbeschützt zu lassen und c) tatsächlich immer ganz genau weiß, wo wir, ihre "Schutzbefohlenen" uns aufhalten. Und zwar auch dann, wenn zwischen ihr und uns Bäume, Sträucher, Hügel, Menschen, Hunde oder sonstwas ist.
Was Juno braucht, um einen solchen Offline-Gang locker und mit Freude zu bewältigen, ist daher einerseits das Vertrauen, ihr einen gewissen Radius auch zu lassen und andererseits, daß ihre Menschen ihre typischen Kangal-Ausflüge mitgehen, d.h., daß sie eben nicht dauernd gerufen, aber auch nicht groß "begöschert" wird, wenn sie geht bzw. zurückkommt.
Ich konnte heute eine kleine Photostrecke des letzten Kangal-Auftritts des heutigen Tages einfangen, ich hoffe, sie illustrieren ein wenig, was ich meine und zeigen auch, daß ich wirklich vor diesem tollen Hund, der eine wahre Persönlichkeit ist und dieser tollen Rasse, die so offenkundig Eigenständigkeit und den Einsatz für das Allgemeinwohl verbindet, den Hut ziehe.
Dieser Thread, er ist auch ein wenig eine kleine Liebeserklärung an Juno. :-)