Zitat von ElektraIch habe NIE umgestellt, weil es bei meinem "Großen" ganz massiv darum ging, eine Wahrnehmung zu verändern. Ben schien immer, gegenüber Menschen genauso wie gegenüber Hunden, ums Überleben zu kämpfen, ich hatte es nie -wie bei den meisten anderen Hunden, die ich trainiere- mit einer einfachen Leinenpöbelei zu tun
Das war das, was ich hiermit
Zitat Auch wenn der Hund aus Frust pöbelt, scheint es mir schwierig, das Fixieren zu clicken. Weil der Hund en anderen ja im Grunde schon so toll findet. Und eigentlich nur frustig ist, dass er nicht hin darf und deshalb ein Theaterstück aufführt. Aber wenn ein Hund andere Hunde wirklich ganz richtig blöd findet und vielleicht sein Leben bedroht sieht, sobald er nur einen erblickt, halte ich es u.U. für echt sinnvoll, da erstmal mit den Emotionen zu arbeiten, denn was anderes hast du in dem Moment nicht, alles andere wird da sicher noch nicht funktionieren, weil gar keine Aufmerksamkeit da ist. Sicherheit vermitteln- also das, was du auch machst, indem du ihm zeigst, dass das doch alles völlig normal ist- kommt ja auch über diese Ebene.
meinte.
Wenn es z.b. darum geht, dass der Hund sich derart bedroht fühlt, ist es ja logisch, dass man besser die Angst beseitigen kann als das Verhalten in der Angst. Allerdings scheint es mir bei vielen Hunden eben nicht so zu sein. Ich glaube einfach nicht, dass bei allen Hunden mit Leinenaggression so tief sitzende Ängste eine Rolle spielen wie bei Ben, auch wenn Unsicherheit sicherlich oft eine Rolle spielt. Und in solchen Fällen kann ich es mir nicht anders vorstellen als eine Stufe, einen Beginn, denn sobald der Hund anfängt, Spielchen zu spielen, ist die Angst ja anscheinend nicht mehr so groß und dann muss doch was anderes kommen.
Deshalb nochmal meine Frage, da du es ja eben nicht als Stufe siehst (wobei ich mir manchmal nicht sicher bin, ob wir von denselben Abläufen reden, du es aber nur anders nennst- ich hatte ja z.b. das Auseinanderziehen der Häufigkeit der Leckerchengabe/Clicks z.b. beim Fuß laufen als Abbauen bezeichnet, du nicht, obwohl du es genau so zu machen scheinst und so scheinen wir ab und an aneinander vorbei zu reden):
Angenommen du hast einen Hund, der zwar zunächst darauf reagiert, dann aber- obwohl die tatsächliche Aggression abnimmt, der aber weiterhin bellt, weil es halt bestätigt wird. Irgendwann fängst du doch an, deine Strategie zu ändern und nur noch ruhiges Verhalten zu clicken, oder?
Ich meine damit nicht die Hunde, bei denen es sich durch die Gegenkonditionierung selbst erledigt. Das hatte ich bei Kira ja mit einem Großteil von Umweltreizen und lief meistens nach diesem Muster: nachdem ihr ein sehr verdächtig erscheinender (und darum mit großem Theater angekläfft werden müssender) Bettler zweimal ein Brötchen gegeben hatte, war der Keks im wahrsten Sinne des Wortes gegessen. Ein Alternativverhalten beizubringen war in allen diesen Fällen nicht nötig, da es um reine Angst ging: Angst weg=Hund verhält sich normal.
Leinenaggression scheint da aber komplexer zu sein, denn mit reinem Schönfüttern (und Gegenkonditionierung mittels clicker ist ja auch nur eine Variante davon, wenn auch wirksamer) ist es da in den meisten Fällen nicht getan. Jedenfalls nicht in den Fällen, die ich kenne. Und als Ursache käme für mich in Frage, dass es eben bei vielen Hunden, die an der Leine schwierig sind, nicht um reine Angst geht.
Mich interessieren also mehr die Hunde, die- wie du sagst- nicht drauf waren wie Ben, sondern ganz normale Leinenpöbler. Und da frage ich mich, ob du halt in diesen Fällen innerhalb der Gegenkonditionierung dein Verhalten änderst (und es halt nicht als nächste Stufe bezeichnest, sondern es einfach als dazugehörig ansiehst). Ich kann mir nicht vorstellen, dass du bei allen Hunden, mit denen du so arbeitest, bis zuletzt auch clickst, wenn sie toben, sondern kann mir gut vorstellen, dass du irgendwann versuchst, die Clicks in Momente zu legen, wo der Hund ruhig ist. Oder nicht?
Mir gehts weniger darum, dass der Hund unbedingt den Menschen anschauen muss oder sowas. Das ist einfach etwas, was für unser kleines Team praktisch ist, was aber auch für den Hund echt schwer ist und sicher auch nicht notwendig. Bei manchen Hunden glaube ich allerdings, dass etwas ausführen in dem Moment entlastend wirken kann- WENN sie es gern machen. Bei Paco hast du ja im Prinzip genau das gemacht- im Rahmen der Gegenkonditionierung.
Zitat Leinenaggression scheint da aber komplexer zu sein, denn mit reinem Schönfüttern (und Gegenkonditionierung mittels clicker ist ja auch nur eine Variante davon, wenn auch wirksamer) ist es da in den meisten Fällen nicht getan. Jedenfalls nicht in den Fällen, die ich kenne. Und als Ursache käme für mich in Frage, dass es eben bei vielen Hunden, die an der Leine schwierig sind, nicht um reine Angst geht.
Das sehe ich genauso. Wenn Lotta richtig Angst hat, dann pöbelt sie nicht mehr. Beim Tierarzt zum Beispiel ist sie der bravste Hund der Welt. Sie würde NIE den Tierarzt anbellen, obwohl sie schon im Wartezimmer heult, dass es einen Stein erweichen kann. Auch bei Hunden, vor denen sie sich richtig fürchtet, bellt sie nicht. Da bleibt sie lieber gaaaanz nah bei mir. Je mutiger sie wird, desto mehr pöbelt sie herum. Übrigens nicht nur an der Leine sondern auch offline, sie macht da keinen Unterschied. Darum denke ich auch, dass Angst nicht der einzige Aspekt ist sondern dass eine ganze Menge anderes dazu kommt.
Zitat Und als Ursache käme für mich in Frage, dass es eben bei vielen Hunden, die an der Leine schwierig sind, nicht um reine Angst geht.
Da gebe ich dir zu 100 % Recht. Oft ist es nicht Angst, sondern Stress. Ursachen gibt es da viele. Und die sind in sehr vielen Fällen schon im Aufbau der Leinenführung des Welpen oder des mit Halsband und Leine unerfahrenen erwachsenen Hundes zu suchen. Nehmen wir den Welpen. Bisher durfte Welpi jeden entgegenkommenden Hund und Menschen an straffer Leine (seinen Menschen hinter sich herschleifend) begrüssen. Und schleichend wird alles ganz anders. Die Leine soll plötzlich (weil es sich so gehört ), egal aus welchen Gründen, bei Begnungen locker sein. Und schon beginnt der Stress auf beiden Seiten, der dazu führt, daß Hundchen bei Fremdbegegnungen, egal ob Tier oder Mensch, Fehlverknüpfungen aufbaut, die wiederum allzuoft in Aggression enden.
Zitat Leinenaggression scheint da aber komplexer zu sein, denn mit reinem Schönfüttern (und Gegenkonditionierung mittels clicker ist ja auch nur eine Variante davon, wenn auch wirksamer) ist es da in den meisten Fällen nicht getan.
Meiner Meinung nach sind 90 % der Leinenpöbler, wenn nicht sogar mehr, sehr erfolgreich mit schönfüttern umzustimmen. Die restlichen Prozent brauchen verlässliche Führung und auch mal eine klare Ansage damit Ruhe einkehrt. Und auch in diesen Fällen kann man, hat man denn endlich einen Fuss in der Tür, mit Belohnung weiter arbeiten.
Liebe Grüsse Kerstin
Liebe Grüsse Kerstin
------------------------------------------------- Der Gedanke "Wie belohne ich meinen Hund für richtiges Verhalten?" zeichnet die Qualität der Ausbildung aus, nicht der über Bestrafung. (Edgar Scherkl)
Zitat von Schnuffelnase Wenn es z.b. darum geht, dass der Hund sich derart bedroht fühlt, ist es ja logisch, dass man besser die Angst beseitigen kann als das Verhalten in der Angst. Allerdings scheint es mir bei vielen Hunden eben nicht so zu sein. Ich glaube einfach nicht, dass bei allen Hunden mit Leinenaggression so tief sitzende Ängste eine Rolle spielen wie bei Ben, auch wenn Unsicherheit sicherlich oft eine Rolle spielt.
Ich glaube hierin liegt ein zentrales Problem: Es geht in der Hundeausbildung viel zu oft um Glauben. Genau da liegt doch der Knackpunkt. Trainer X behauptet, der Hund ist dominant und baut darauf sein Training auf. Trainer Y erklärt, gar nicht wahr, der Hund ist aus Angst aggressiv. Woraus ein anderes Konzept resultiert. Und einmal davon abgesehen, daß auf der professionellen Seite zuviele Glaubenskriege toben, erlebe ich immer wieder Kunden, die mir im Brustton der Überzeugung erklären, ihr Hund sei wahlweise dominant, unsicher, ängstlich, einfach nur ein blöder Pöbler, unartig, wolle eigentlich nur spielen ... oder was eben sonst so an Einschätzungen rumgeistert. Würden hier mehr Zweibeiner einfach mal genauer auf das schauen, was der Hund körpersprachlich auch tatsächlich zeigt, ohne dauernd ins Blaue rein zu interpretieren, wäre ja schon viel gewonnen.
Aber es ist eben nicht so einfach, von liebgewordenen Gewohnheiten Abschied zu nehmen. Wer sich in den Kopf gesetzt hat, daß sein Hund doch gar nicht aggressiv ist, obwohl er gerade lustig drohfixiert und gleich im Anschluß meinem direkt über die Nase pinkelt, der ist nur schwer vom Gegenteil zu überzeugen. Und sage doch mal einer einem Herrn Schlegel und jenen, die ihm Gefolgschaft geschworen haben, daß es nicht per se und genetisch verankert für jeden Hund das Tollste ist, bei seinem Menschen zu sein und daher gar keine Leckerchen"bestechung" nötig sind, um ein erwünschtes Verhalten abzurufen - da beißt Du Dir genauso die Zähne aus.
Klein Paco ist doch das beste Beispiel für eine solche Odyssee. Da wird einem Halter eingeredet, sein Hund, gerade mal ein paar Wochen alt und in der Welpengruppe nicht an menschliche Maßstäbe angepaßt, sei ein Problemfall. Der Zweibeiner glaubt's und greift in die Tasche, weil er ja für sein Tier nur das beste will und bestimmt nicht, daß es Probleme hat oder eines ist. Und schon ist er drin, in der Mühle. Der Mensch wie der Hund. Und dann kommt eine wie ich und sagt "laß den Hund los", während der sich gerade wie ein Berseker aufführt und zeigt dem Menschen, wie wenig dieser Hund ein Problem oder gar ein Beißer ist - nach drei langen Leidensjahren für alle Beteiligten, an deren Ende die bis dahin krasseste und gefährlichste Einschätzung gestanden hat. Da kannst Du nur noch eins: Vom Glauben abfallen.
Und genau das, das würde ich mir wünschen, sollten eben viel mehr Zweibeiner tun, aufhören, zu glauben, wirklich genau beobachten und sehen, statt zu interpretieren, verstehen, statt zu behaupten. Nur dann kann er nämlich rausfinden, ob sich ein Hund "wirklich" bedroht fühlt oder tiefsitzende Ängste hat oder eben "nur" ein Leinenpöbler ist.
Ich denke, die Lösung kann doch immer nur darin liegen, ein Verhalten in vielen verschiedenen Situationen zu beobachten, viele verschiedene Möglichkeiten durchzuspielen, zu gucken, worauf der Hund gut anspricht und was gar nicht funktioniert, vor allem aber darin, ein Trainingskonzept auf verhaltensbiologisch sinnvollen, nachweisbaren Grundlagen aufzubauen.
Zitat Und in solchen Fällen kann ich es mir nicht anders vorstellen als eine Stufe, einen Beginn, denn sobald der Hund anfängt, Spielchen zu spielen, ist die Angst ja anscheinend nicht mehr so groß und dann muss doch was anderes kommen.
Wie gesagt, da liegt das Problem: Wann spielt ein Hund Spielchen, und wer kann den Unterschied zu "berechtigtem" Aggressionsverhalten feststellen?
Wenn ich nochmal bei Ben und Seppl bleibe, behaupte ich, keiner von beiden spielte in erster Instanz Spielchen. Beide hatten aus hundlicher Sicht gute Gründe für ihr Verhalten. Irgendwann wurden beide sicher genug, um meine Grenzen auszuloten. Aber zu diesem Zeitpunkt war der Trainingserfolg bereits da, vorher brauchten sie meine Hilfe viel zu sehr, um "Spielchen zu spielen". Viel gravierender waren letztlich der Einfluß ihrer ureigensten Persönlichkeiten in Bezug auf genetische Dispositionen und Erfahrungswerte. Die Unterschiede in den Trainings der beiden resultierten meinem Dafürhalten nach darin, daß Ben ein grundlegend starker Charakter ist, ein geborener Anführer (und ich sage bewußt nicht, daß er dominant ist, weil Dominanz ein Kriterium für eine Beziehung zwischen bei Individuen ist und keine Eigenschaft eines einzelnen), der über mindestens drei Jahre seines Lebens gelernt hat, daß er alleine regeln muß, wenn er überleben will und daß ihm dabei aggressives Verhalten mit Beschädigungsausführung dient. Ihm mußte ich durch viel Ruhe, Klarheit und Souveranität beweisen, daß ich befugt war, ihn zu führen, erst dann konnte ich mit ihm an alternativem Verhalten arbeiten. Seppl hingegen ist von Natur aus ein vergleichsweise ängstlicher, unsicherer Hund, der sich gerne und sofort demjenigen anvertraut, der ihm Wege aufzeigt. Da mußte ich nichts beweisen, sondern einfach nur Angebote machen, die Seppl mit Kuß-Pfote annahm.
Diese Unterschiede brachten mit sich, daß bei Ben eine Testphase vor dem eigentlichen Training lag und er jetzt auch immer mal testet, aber NIE im Ernstfall. In dem ist er absolut bei mir und sehr zuverlässig, er will zumeist nicht mehr selbst regeln, während er, wenn nichts los ist und man so vor sich hindamelt, durchaus mal ausprobiert, ob man Frauchen nicht ein ganz kleines bißchen manipulieren kann. Seppl hingegen testet meine Befugtheit so gut wie nie, besitzt aber sowenig Impulskontrolle, daß das Festigen von Signalen, vor allem, wenn etwas etwas länger dauert, viel schwieriger als bei Ben ist. Womit er der Präzedenzfall von "ich gucke, Du fütterst, ich gucke, Du fütterst" ist, ohne dabei wirklich "Spielchen zu spielen", er ist es allein, weil er von Natur aus schlecht "stillhalten" kann.
Zitat (wobei ich mir manchmal nicht sicher bin, ob wir von denselben Abläufen reden, du es aber nur anders nennst- ich hatte ja z.b. das Auseinanderziehen der Häufigkeit der Leckerchengabe/Clicks z.b. beim Fuß laufen als Abbauen bezeichnet, du nicht, obwohl du es genau so zu machen scheinst und so scheinen wir ab und an aneinander vorbei zu reden)
Ich würde sagen, das ist eins der großen Probleme des Mediums Internet/Forum, man redet sehr leicht aneinander vorbei, auch, weil man dem Gegenüber nicht in die Augen gucken und auch nicht direkt durch Fragen nachhaken kann.
In diesem Punkt zur Aufklärung: Wenn Du die Verlängerung der Dauer, die mein Hund die Aufmerksamkeit beim Reiz, der gegenkonditioniert werden soll, haben muß, bevor ich clickere oder die Dauer des Blickkontakts zu mir bzw. die Dauer der Ausführung eines Signals, dann hast Du recht, dann baue ich ab. Ich würde es allerdings aus Aufbau bezeichnen: Ich festige die Fähigkeit, ein Verhalten zu zeigen und erreiche, wenn der Blickkontakt zum Reiz verlängert wird, eine positivere Verknüpfung des Reizes, denn bliebe er gleich negativ verknüpft, KÖNNTE mein Hund ihn nicht länger anschauen, ohne sich aggressiv zu verhalten.
Zitat Angenommen du hast einen Hund, der zwar zunächst darauf reagiert, dann aber- obwohl die tatsächliche Aggression abnimmt, der aber weiterhin bellt, weil es halt bestätigt wird. Irgendwann fängst du doch an, deine Strategie zu ändern und nur noch ruhiges Verhalten zu clicken, oder?
Das ist richtig. Wobei ich zu bedenken gebe, daß es nicht immer ganz einfach ist, zu beurteilen, ob die tatsächliche Aggression abnimmt, da muß man, denke ich, sehr genau hingucken und sich vor menschlichen Brillen hüten.
Zitat Ich meine damit nicht die Hunde, bei denen es sich durch die Gegenkonditionierung selbst erledigt. Das hatte ich bei Kira ja mit einem Großteil von Umweltreizen und lief meistens nach diesem Muster: nachdem ihr ein sehr verdächtig erscheinender (und darum mit großem Theater angekläfft werden müssender) Bettler zweimal ein Brötchen gegeben hatte, war der Keks im wahrsten Sinne des Wortes gegessen. Ein Alternativverhalten beizubringen war in allen diesen Fällen nicht nötig, da es um reine Angst ging: Angst weg=Hund verhält sich normal.
Das Problem ist, daß Du wirklicher Angst in der Regel nicht nach zweimal Keks geben Herr wirst. Ich behaupte, daß Kira eher unsicher war, sich daher vorsichtig oder auch leicht aggressiv verhielt und das alternative Verhalten quasi Teil der Gegenkonditionierung war, sie lernte, zum Bettler zu gehen und ihn anzubetteln. :-)
Ich finde einfach die Schubladen schwierig, die Du vermutlich ungewollt hier aufmachst. Angst da ist für mich nicht gleich Hund unnormal, Angst weg ist nicht gleich Hund normal. Ich denke, wir vergessen viel zu oft, daß Angst und Aggression ganz wichtige Gefühle und Verhaltensauslöser im Leben eines jeden Säugetieres und auch unserer Hunde sind. Fakt ist doch, daß wir von ihnen sehr oft Dinge verlangen, die für uns vielleicht normal sind, für sie aber eben überhaupt nicht.
Zitat Leinenaggression scheint da aber komplexer zu sein, denn mit reinem Schönfüttern (und Gegenkonditionierung mittels clicker ist ja auch nur eine Variante davon, wenn auch wirksamer) ist es da in den meisten Fällen nicht getan. Jedenfalls nicht in den Fällen, die ich kenne. Und als Ursache käme für mich in Frage, dass es eben bei vielen Hunden, die an der Leine schwierig sind, nicht um reine Angst geht.
Auch das ist eine Schublade, würde ich sagen. Was ist denn "reine Angst"? Und wieso ist "reine Angst" Grund genug, gegen zu konditionieren, "nicht reine Angst" aber nicht? Ich denke, die Basis der Leinenaggression ist, daß es zumeist darum geht, daß wir den Hund per Leine an natürlichen Verhaltensweisen hindern. Normalerweise hat er vier Möglichkeiten, einem Konflikt zu begegnen, zusammengefaßt in den vier berühmten "F", die da wären: F(light)/Flucht, F(reeze)/Einfrieren, F(ight)/Kampf und F(iddle about)/Rumkaspern, Übersprungsverhalten zeigen.
Haben wir unseren Hund an der Leine, machen wir aus seiner Sicht nur Unfug. Wir gehen zumeist frontal auf das Gegenüber zu. Würde unser Vierbeiner in der Natur nie tun. Wir binden ihn an uns, womit Einfrieren und Flucht als Verhaltensweisen für ihn ausscheiden. Was bleibt? Der Kampf, die Aggression. Blöderweise führt unsere "Führung" an der Leine dazu, daß er nicht einmal die richtig, in der hundlich richtigen Weise, zeigen kann. Er nämlich würde ein Ritual abspulen. Er fixiert mit Blicken, nähert sich abgeduckt, Augen, Ohren, Rute und Körper sprechen in einer Tour mit dem Gegenüber. Oder vielmehr täten es, wenn wir ihn nicht mit uns am Gegenüber vorbeizerren wollten oder uns in den Kopf gesetzt hätten, daß da doch ein anderer Hund kommt, den er aber doch toll finden muß, schließlich isses doch auch ein Hund.
Wie oft passiert genau das: Hund A nähert sich, Hund B will hin. Nun ziehen entweder beide Leinenhalter beide Hunde weiter, was für die hundlich vollkommen idiotisch wirkt. Oder, auch gern genommen, die Hunde dürfen zueinander, schnüffeln aneinander rum, und dann fällt einem oder beiden Menschen ein, daß das Ganze nun schon viel zu lange dauert und der Kaffee auf dem Tisch steht und wartet oder der Chef schon vor der Stechuhr Posten bezogen hat, in der Hoffnung, uns beim Zuspätkommen zu erwischen. Was passiert jetzt? Genau, die Hunde werden auseinandergezogen, für sie, die gerade mitten im schönsten Ritual waren, völlig unverständlich und ... höchst aggressiv. Denn plötzlich werden Körperhaltungen verändert, kommt Geschwindigkeit in die Sache und kann kein Vierbeiner DAS mehr einschätzen. Und schon ist die schönste Keilerei im Gange.
Solche Erfahrungen machen viele Hunde und das mehr oder minder ständig. Da frage ich mich, wo ist denn da ein Vierbeiner "wirklich" und berechtigt aggressiv? Da liegt doch die Verantwortung dafür, daß unsere Hunde hundlich korrekt aggressiv sein dürfen, bei uns, denn wenn wir sie ließen, bräche das Ritual an irgendeinem Punkt der Kette ab, die Lage wäre geklärt und keiner unserer Vierbeiner müßte in irgendeiner Weise pöbeln oder eben das tun, was wir dann wieder als "Spielchen" empfinden oder beurteilen würden.
Zitat Mich interessieren also mehr die Hunde, die- wie du sagst- nicht drauf waren wie Ben, sondern ganz normale Leinenpöbler.
Wie gesagt, was ist das, ein "ganz normaler Leinenpöbler"? Und wieso verurteilen wir ihn als "Spielchenspieler", während wir seine Pöbelei doch erst verursachen bzw. nötig machen?
Zitat Und da frage ich mich, ob du halt in diesen Fällen innerhalb der Gegenkonditionierung dein Verhalten änderst (und es halt nicht als nächste Stufe bezeichnest, sondern es einfach als dazugehörig ansiehst). Ich kann mir nicht vorstellen, dass du bei allen Hunden, mit denen du so arbeitest, bis zuletzt auch clickst, wenn sie toben, sondern kann mir gut vorstellen, dass du irgendwann versuchst, die Clicks in Momente zu legen, wo der Hund ruhig ist. Oder nicht?
Ich versuche in erster Linie zweierlei: Meinen Hund dazu zu veranlassen, mir genug Vertrauen entgegenzubringen, daß er mir folgt, wenn ich im Verhalten anbiete und ihm parallel genug Möglichkeiten zu geben, sich wirklich wie ein normaler Hund zu verhalten. Und das beinhaltet insbesondere, daß ich ihm nicht seine Meidemöglichkeiten nehme.
Dazu kommt, daß ich immer gucke, daß ich nicht auf ein Verhalten meines Hundes reagiere, sondern schon handele, bevor er überhaupt in die mißliche Lage kommt, pöbeln zu müssen. Ich finde einfach, wir sollten aufhören, Verhalten zu verurteilen, und das gilt auch und gerade für Aggressionsverhalten an der Leine, denn aus meiner Sicht ist genau diese Form der Aggression die, die wir Menschen verschulden, weil wir uns unhundlich verhalten und unsere Hunde in Situationen bringen, die sie so nie herstellen würden, wenn sie eine andere Möglichkeit hätten.
Zitat Mir gehts weniger darum, dass der Hund unbedingt den Menschen anschauen muss oder sowas. Das ist einfach etwas, was für unser kleines Team praktisch ist, was aber auch für den Hund echt schwer ist und sicher auch nicht notwendig. Bei manchen Hunden glaube ich allerdings, dass etwas ausführen in dem Moment entlastend wirken kann- WENN sie es gern machen. Bei Paco hast du ja im Prinzip genau das gemacht- im Rahmen der Gegenkonditionierung.
Bei Paco arbeite ich mit einem Hund, der weder ängstlich, noch aggressiv ist. Paco ist einfach grottenverunsichert, weil irgendwer seinen Menschen irgendwann erfolgreich eingetrichtert hat, daß er ein Problemhund sei. In der Folge wurden verschiedene Trainingsansätze, die sich weitgehend gegenseitig auch noch widersprachen, ausprobiert, immer mit dem Ergebnis, daß das problematische Verhalten, das bearbeitet werden mußte, sich ständig verschlimmerte.
Es gab nie eine Notwendigkeit, Paco gegenzukonditionieren. Er IST ein Menschenhund, er mag Menschen, er tut gerne etwas mit ihnen gemeinsam, und er hat einen enormen "will to please". Was ihm fehlte, war nicht die Liebe zu den Menschen, sondern einfach eine klare Linie, klare Informationen darüber, wie er sich ihnen gegenüber verhalten sollte und wie eben nicht. Das ist auch der Grund, aus dem das Training in einem so rasanten Tempo vonstatten geht, Paco ist eben KEIN Problem und auch KEIN aggressiver Hund, ähnlich wie Seppl übrigens, nur daß der im Vergleich tatsächlich nur stärker veranlagt ist als Paco. Ich bin bei Paco nach wie vor der festen Überzeugung, daß dieser Hund wirklich ein Opfer fehlgeleiteter Hundetrainer war, die aus irgendeinem Grund nicht damit umgehen konnten oder wollten, daß sie einfach einen Vierbeiner vor sich hatten, der sich eben NICHT anormal verhielt, nur weil er ihre menschlichen Maßstäbe nicht erfüllte, nicht mehr und nicht weniger.
Viele Grüße Barbara mit Ritter Parcifal, Prince Maddox und Sir Lancelot sowie in ewiger Verbundenheit mit Malibub Athos, Seelenbub Ben, Spitzbub Ilias, Lausbub Seppl und 'dame de coeur' Lupa (G'lupa de la Noire Alliance)
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"Just a generation ago if you went near a dog when he was eating and the dog growled, somebody would say, 'Don't go near the dog when he's eating!, what are you crazy?' Now the dog gets euthanized. Back then, dogs were allowed to say, NO. Dogs are not allowed to say no anymore...They can't get freaked out, they can't be afraid, they can never signal 'I'd rather not.' We don't have any kind of nuance with regard to dogs expressing that they are uncomfortable, afraid, angry, or in pain, worried, or upset. If the dog is anything other than completely sunny and goofy every second, he goes from a nice dog to an 'AGGRESSIVE' dog." (Jean Donaldson)
Zitat Dazu kommt, daß ich immer gucke, daß ich nicht auf ein Verhalten meines Hundes reagiere, sondern schon handele, bevor er überhaupt in die mißliche Lage kommt, pöbeln zu müssen.
Genau so versuche ich es auch zu vermitteln.
Zitat Schönfüttern wahllos während des Pöbelns oder mehr und mehr in Pöbelpausen?
Wenns denn schon zu spät ist clicke ich auch während des pöbelns, aber in der Regel versuche ich schon vorausschauend zu handeln. Ich bin immer wieder erstaunt, und noch mehr die Menschen, die zum Leinenpöbler gehören, wie gut die Hunde auf rechtzeitige Belohnung reagieren.
Liebe Grüsse Kerstin
Liebe Grüsse Kerstin
------------------------------------------------- Der Gedanke "Wie belohne ich meinen Hund für richtiges Verhalten?" zeichnet die Qualität der Ausbildung aus, nicht der über Bestrafung. (Edgar Scherkl)
Zitat von soffieWenns denn schon zu spät ist clicke ich auch während des pöbelns, aber in der Regel versuche ich schon vorausschauend zu handeln. Ich bin immer wieder erstaunt, und noch mehr die Menschen, die zum Leinenpöbler gehören, wie gut die Hunde auf rechtzeitige Belohnung reagieren.
Das ist, worauf ich hinaus will (ist irgendwie alles grad ein bisschen zäh). Ich glaube, dass der Hund, wenn man rechtzeitig clickt und das in den meisten Fällen klappt, ja die meiste Zeit nicht direkt fürs Pöbeln geclickt wird, sondern erst einmal dafür, dass er eben noch nicht pöbelt. Es wäre in diesem Zusammenhang interessant, die Clicks bei der Gegenkonditionierung mal zu zählen und zwar nach: geclickt beim Pöbeln und geclickt bevor er loslegt und in den Pausen. Ich vermute mal, dass im Rahmen einer Gegenkonditionierung insgesamt mehr Clicks auf letzteres entfallen würden.
Interessant wäre auch, ob das mit der Gegenkonditionierung auch funktionieren würde, wenn man von Anfang an und ohne etwas zu ändern (also ohne zunehmend dem Hund zuvor kommen zu wollen oder ohne sich für den Click absichtlich die Pausen auszusuchen) die ganze Zeit ausschließlich beim Pöbeln clicken würde. Als reine Gegenkonditionierung müsste es ja dennoch funktionieren und ich behaupte, dass das in der Form nur bei einem kleinen Teil der Hunde so sein würde.
Bei den anderen denke ich aber nach wie vor, dass man vermutlich beim Schönfüttern das Timing automatisch möglichst so setzt, dass in einem Großteil der Fälle eben ruhiges Verhalten geclickt wird, nämlich z.b. am Beginn (Hund pöbelt noch nicht) oder wenn er zwischendrin mal kurz die Klappe hält, die Lauscherchen nach hinten gehen, ob Frauchen noch da ist usw. Und an dieser Stelle setzt Konditionierung ein, auch wenn man es vielleicht garnicht so beabsichtigt hat. Ich nehme an, dass dieses Zusammenspiel einer der Gründe für die hohe Erfolgsrate beim Schönfüttern ist.
Bei Kira habe ich auch geclickt, wenn sie den anderen Hund sah, aber noch die Klappe hielt. Auch wenn sie mich nicht ansehen konnte, weil der Abstand nicht stimmte, der andere plötzlich vor unseren Füßen stand. Da brauchte ich garnicht zu versuchen, ob sie mich ansehen würde, weil sie viel zu aufgeregt war. Meist ging das ganz gut. Und wenn bei so einer Begegnung dann der Hund völlig außer Kontrolle geraten würde und man clickte das Pöbeln, würde es doch zahlenmäßig nicht die zig mal überlagern, wo für ruhiges Verhalten geclickt wurde. Ich kriege schon fast Lust auf ein Experiment. Ist zwar momentan nicht durchführbar, aber es reizt mich sehr, mal bei der Gegenkonditionierung zu gucken und zu zählen.